Die Koordinierungsstelle NOAH und 9/11: Geburtsstunde staatlicher Stellen für Nachsorge Opfer- und Angehörigenhilfe

Meldung

Der 11. September 2001 markiert in vielerlei Hinsicht einen Wendepunkt im deutschen Bevölkerungsschutz. Er war u.a. der entscheidende Impuls für die Errichtung der Koordinierungsstelle Nachsorge, Opfer- und Angehörigenhilfe (KoSt NOAH) bereits ein paar Monate später im Jahr 2002.

Koordinierungsstelle Nachsorge, Opfer- und Angehörigenhilfe (KoSt NOAH) der Bundesregierung. Quelle: BBK

Die Bundesregierung hatte erkannt, dass Deutschland zeitgemäße Anpassungen im Bevölkerungsschutz vornehmen musste. Während z.B. in den USA die Psychosoziale Notfallversorgung (PSNV) für Betroffene von Anschlägen und Katastrophen schon lange integraler Bestandteil der Gefahrenabwehr  war, gab es in Deutschland noch eine Versorgungslücke. Das betraf damit auch die insgesamt 14 Familien, deren Angehörige bei den 9/11-Anschlägen in den USA zu Tode kamen und die sich letzten Endes an Presse und Politik wandten und so ihrem Anliegen Gehör verschafften.

Willkürlich attackierte Betroffene von Terroranschlägen haben eine Stellvertreterrolle. Sie erleiden die Auswirkungen des Anschlags, aber sie sind als Ziel nicht gemeint. Das mittelbare Ziel ist der Staat, der destabilisiert werden soll. Insofern hat der Staat hier eine besondere Verpflichtung, der er seit 2002 mit der KoSt NOAH nachkommt. Seit 2004 ist sie im Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) angesiedelt.

Ursprünglich für Terrorbetroffene eingerichtet, zeigte die praktische Arbeit der Koordinierungsstelle schnell, dass bei komplexen Schadenslagen ein genereller und hoher Bedarf nach einer psychosozialen, bedarfsorientierten und interdisziplinären Ansprech- und Koordinierungsstelle besteht. Entsprechend hat die Kost NOAH in den vergangenen 20 Jahren 368 Einsätze abgearbeitet, die je nach Größe bis zu 18 Monate und länger andauerten, darunter auch der Tsunami in Südostasien 2004 und der Germanwings-Absturz 2015.

Keine typische Behördeneinheit

Die KoSt NOAH kooperiert eng mit dem Auswärtigen Amt, dem Bundeskriminalamt und weiteren Bundesbehörden, mit Landesbehörden, dabei v.a. mit PSNV-Landeszentralstellen, mit Wissenschaftlern und Fachgesellschaften sowie bundesweit mit der regionalen Notfallseelsorge und den Kriseninterventionsteams der Hilfsorganisationen am Wohnort der Betroffenen. Schon bei Gründung ein Novum, ist die KoSt NOAH dabei auch heute noch als behördliche Stelle eine Besonderheit. Denn die konsequente Ausrichtung auf die Bedarfe der Betroffenen und ihrer Angehörigen ist mit der Handlungslogik von Zuständigkeiten und Ressortgrenzen manchmal nur aufwändig vereinbar. Doch unter dem Brennglas von Pandemie und Hochwasser treten Bedarfsorientierung, transparente Kommunikation, interdisziplinäre und engere Zusammenarbeit unterschiedlicher Akteure, Hierarchien und föderaler Ebenen als unabdingbare Notwendigkeit immer klarer zutage. So stellt sich in diesem Jahr 2021 die Frage, ob Struktur und Arbeitsweise der Kost NOAH nicht als Blaupause herangezogen werden kann, was z.B. temporäre Hilfestrukturen nach komplexen Schadenslagen im Inland betrifft.

Für Auslands-Lagen zuständig

Der Auftrag der KoSt NOAH als zentrale Ansprechstelle der Bundesregierung bezieht sich ausschließlich auf Schadenslagen im Ausland. Bei Schadenslagen im Inland sind die Länder als Aufgabenträger des Katastrophenschutzes zuständig. 2017, nach dem Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz, setzte die Bundesregierung einen Beauftragten für die Anliegen von Opfern und Hinterbliebenen von terroristischen Straftaten im Inland mit Geschäftsstelle beim Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) ein. Die meisten Länder folgten mit eigenen Opferschutzstellen. Darüber hinaus wurde die Opferschutzgesetzgebung verbessert. Die Entwicklung ist zu begrüßen, werden die Belange von Betroffenen auf diese Weise sichtbarer. Doch das Hochwasser 2021 in Westdeutschland legt nahe, dass zentrale koordinierende Strukturen auf Bundes- und Länderebene in Kombination mit Vor-Ort-Präsenzangeboten hilfreich sein könnten. Ein erster Schritt in diese Richtung erfolgte bereits: Besonders in der Anfangsphase ab Mitte Juli wurden angesichts der dramatischen Auswirkungen des Starkregens und der zahlreichen Toten und Verletzten PSNV-Kräfte aus dem gesamten Bundesgebiet angefordert. Das BBK übernahm auf Basis der Expertise der KoSt NOAH und in Kooperation mit der Landeszentralstelle PSNV in Rheinland-Pfalz in einem Ad-hoc-Einsatz koordinierende Aufgaben.

Wie geht es weiter?

Die Länder Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen haben die Betreuung der Betroffenen des Hochwassers mittlerweile ihren Opferschutzstellen übertragen. Ergänzt werden müsste dies aus fachlicher Sicht durch eine temporäre interdisziplinäre Hilfestruktur mit einer starken psychologischen, traumatherapeutischen und sozialen, aber auch rechtlich und finanziell beratenden Komponente für mindestens 1,5 bis 2 Jahre: eine Verzahnung von Bundes-, Länder- und kommunaler Ebene mit jeweils unterschiedlichen Aufgabenschwerpunkten, die in den Katastrophengebieten regional durch Versorgungsstationen verankert ist. Diese wiederum könnten z.B. von Hilfsorganisationen, Kirchen und weiteren Anbietern psychosozialer Dienste und mit fachkundigem und erfahrenem Personal getragen werden. Für die Betroffenen wäre dies eine optimale Unterstützung. Das zeigen die Erfahrungen vergangener Hochwasser. Und auch die Erfahrungen der Kost NOAH seit nunmehr 20 Jahren.

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Ursprünglich ein Gastbeitrag von

Dr. Jutta Helmerichs, Ehemalige Leiterin des Referats Psychosoziales Krisenmanagement und der Koordinierungsstelle NOAH im BBK und

Nathalie Schopp, Leiterin des Referats Psychosoziales Krisenmanagement

erschienen im Behördenspiegel September 2021, S. 44

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